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  Das Jahr 1937
 

 

Januar 37

Neujahr 1937 bringt Groothuis das letzte Material zu seinem Vater in Völlenerfehn. Jedenfalls behauptet er das. Dieses Jahr '37 ist überhaupt das der ausklingenden Parteiarbeit, alle später Verhafteten haben spätestens mit Anfang des neuen Jahres so gut wie nicht mehr für die Organisation gearbeitet. Es ist sehr schwer, hierbei die Schutzbehauptung von der wirklichen Einstellung der eigenen Tätigkeit zu trennen. Es ist also genausogut möglich, daß alle wie bisher in den Betrieben, Zellen und vielleicht sogar auf der Straße weiterarbeiteten, daß auch später noch der Materialfluß auf die Fehne ungehemmt stattfindet. Ein Gleiches gilt für Papenburg, ob Rinneberg weitermachte, ist nicht feststellbar.

Radatz wechselt im Januar seinen Dampfer. Für ihn war es auf der "Kronshagen" zu Auseinandersetzungen mit einem Bord"kameraden" gekommen, der den Faschisten nahesteht. Anschuldigungen bis hin zu einer Denunziation bei der Gestapo in Kiel machen dem Emder das Leben schwer. Er kann aber in einem langen Brief die Vorwürfe ausräumen, so daß die Geschichte zunächst ohne Folgen bleibt. Politisch hat er sich an Bord nicht mehr betätigt, das behauptet er jedenfalls. Auch seine ostfriesischen Freunde trifft er nicht mehr, die Hafenliegezeiten seines Schiffes werden immer kürzer. Er kann sich jedoch im Ausland mit sozialistischen Presseerzeugnissen versorgen und bleibt seiner Weltanschauung auch auf der "Gottfried-Bühren" treu.

Jetzt wird auch die Karte, die Kittner ankündigen soll, nach Holland geschickt, bezeichnenderweise an Rikus Gandstra. Staub selber schreibt und sendet sie ab. Wagner informiert den Friesländer vorher genau über die Lage in Emden, daß es mit der Organisation sehr schlecht aussehe und eine regelmäßige Verbindung nicht einzurichten wäre. Er gibt Kittner dreissig Reichsmark Reisegeld und unterrichtet ihn über den zu erwartenden Ablauf. Er würde am Bahnhof in Delfzijl von Gandstra abgeholt, der ihn weiterbringen wollte.

Kittner sagt später aus: "Ich fuhr nach Delfzijl, doch traf ich dort niemand auf dem Bahnhofe an. Der Bahnhof ist verhältnismäßig klein. Als ich einige Zeit gewartet hatte, ging ich in den Ort, wo ich einen jungen Mann traf, durch dessen Vermittlung ich zu dem genannten Gandstra gewiesen wurde. Durch Gandstra wurde ich vermittels Kraftwagen nach Groningen gebracht, wo ein gewisser 'Piet' aufgesucht werden sollte. In Groningen erfuhr ich, daß dieser 'Piet' bereits festgenommen sei. Ich übernachtete bei einer Frau, die mit ihrem Sohn und mit einer Tochter zusammenwohnt. Durch diese Frau wurde ich dann nach Amsterdam zu ihrem Bruder, einem Fritz Franke, wohnhaft in Amsterdam, Reinir-Claasen-Str. 37 oder 57 verwiesen. Franke handelt mit Käse und Butter. Diese Frankes sind auch deutsche, sie sind meines Wissens keine Juden. Sie scheinen auch kommunistisch eingestellt zu sein. Bei Ranke kamen dann zwei deutsche emigrierte Kommunisten, mit denen ich mich unterhielt. Die beiden Emigranten haben mir ihre Namen nicht genannt. Ich sollte nun Verschiedenes erzählen, sie sagten: 'Wir wollen was wissen'. Ich konnte ihnen jedoch nichts erzählen. Ich wurde von diesen beiden gefragt, ob in Emden illegal gearbeitet würde. Da ich arbeitsunfähig bin und über Emder Betriebe nicht Beschied weiß, konnte ich darüber keine Auskunft geben.

Mir sagten die beiden nach Beendigung der Unterhaltung, das nächste Mal sollten die Emden nur einen anderen schicken. Ich erhielt den Auftrag, August Wagner, dem diese beiden Kommunisten jedoch nicht bekannt waren, mitzuteilen, daß weitergearbeitet in den Betrieben (...) und das an eine Sammlung für Spanien gedacht werden müsse." (Aussage Kittners vor der Gestapo)

Anschliessend wird Kittner noch zu einer Kundgebung der "Roten Hilfe" mitgenommen. Da die Reden aber auf holländisch gehalten werden, versteht der Emder nichts von dem Gesagten. Kittner macht im Anschluß noch eine Stippvisite bei seiner Tochter und kehrt dann nach Emden zurück.

Natürlich hat er den deutschen Emigranten alles Wissenswerte über die Parteiorganisation seiner Heimatstadt berichten können, er ist ein Mann des inneren Kreises und darüberhinaus von Wagner gut unterrichtet worden. Auch die beiden Genossen im Exil werden ihm mehr mitgeteilt haben, als er zugibt. Aber was er am Ende seinem Chef Wagner erzählt, ist bestimmt nichts grundsätzlich Neues. Wenn Wagner auch später der Gestapo gegenüber angibt, keine Umstellung auf Betriebsarbeit vorgenommen zu haben, ist das sicher eine Schutzbehauptung. Schließlich arbeiten viele Kommunisten auch zum Zeitpunkt der Vernehmung noch großen Teils unerkannt auf den Werften, beim Hafenumschlag, auf den Schiffen und in anderen Unternehmen. Die Umstellung oder zumindest die Vorbereitung darauf ist bestimmt längst erfolgt, von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich entwickelt. Indirekt gibt August Wagner das auch zu, wenn er aussagt, über die "Umstellungsproblematik" mit "bekannten" Genossen ("nur gelegentlich") gesprochen zu haben. Er gibt da "zum Beispiel" Giesen und Johannes Gödeken an, doch das sind zwei weitere zentrale Figuren der Unterbezirksleitung. Es mag sein, daß die Beziehungen der Parteimitglieder nicht mehr so straff organisiert sind, "lose Verbindung", sagt Wagner, das kann aber auch nur eine Beschreibung des Zustandes der erfolgten (Selbst-)Auflösung der Wohngebietskleingruppen sein und deren Ersetzung durch Betriebszellen.

Selbst wenn er angibt, es wäre kaum noch kassiert worden und tatsächlich viel weniger ehemalige Mitglieder bezahlen und sich nicht mehr zugehörig fühlen - die Partei ist da, den größer werdenden Problemen zum Trotz.

Mehr im Magen dürften Wagner die zum wiederholten Male geforderten ständigen Kontakte liegen. Er wird versuchen, auch das zu regeln.

Februar 37

Vielleicht doch über Janssen-Kruse. Der taucht immer noch in vereinbarten Abständen bei Scheiwe auf. Und immer bringt er zumindest Beiträge mit. Als er im Februar ins "Kap Hoorn" kommt, erklärt ihm Scheiwe aber, daß er nichts mehr annehmen könne. Man brächte ihm kein Vertrauen mehr entgegen. JK muß das Geld wieder mitnehmen. Er wird ab jetzt nur noch wenige Besuche im "Kap Hoorn" machen, und Politik wird dabei keine Rolle mehr spielen.

März 37

Etwa im März kommt Fegter zurück aus Bremen. Er arbeitet weiter bei dem gleichen Arbeitgeber, der in Emden eine Filiale betreibt. Auswirkungen auf die Partei hat das wohl nicht mehr. Und wenn, wird es nicht bekannt.

April 37

Auch, ob um Ostern tatsächlich noch eine zweite Kurierreise in die Niederlande gelingt, ist fraglich. Kittner behauptet zwar, es seien Kollegen aus einem Betrieb und ein Seemann gefahren, Wagner dagegen streitet das strikt ab. Aber das muß er ja auch, wenn er die Genossen schützen will.

Mai 37

Als würde sie das Kommende ahnen, versucht die Organisation hinter einem Nebelvorhang zu verschwinden, schemenhaft nur noch ist ihr Vorhandensein zu erkennen. Das ganze Frühjahr vergeht, keine konkreten Nachrichten werden bekannt. Auch Giesen verschwindet im Nichts, gegen Mai will er die letzen Gelder an Wagner weitergegeben haben.

Juni 37

Im Juni kommt noch eine Mitteilung aus Wesermünde, von hier aus befährt Mellendorf neuerdings auf einem Fischdampfer die Nordsee, auch er kommt nicht mehr ins Ausland. Und - ach ja, sogar August Wagner hat seit Beginn des Monats eine Stelle als Zeichner bei den Nordseewerken...

Juli 37

Es ist jetzt Juli. Wagner trifft überraschend Gandstra. Beide haben wenig Zeit, der Holländer muß noch Kohle bunkern, darum können sie nur kurz Nebensächlichkeiten austauschen. Dann schlägt die Gestapo zu: Von Leer aus beginnen die Verhaftungen. Es trifft als erste am 27. Juli Janssen-Kruse und Strenge, am 28. folgt Heinrich Platte. Am 29. schon greift das Geschehen auf Emden über und Groothuis wird überraschend auf seiner Arbeitsstelle festgenommen, gleichzeitig Janssen (I).

August 37

Am 2. August folgen Karl Wagner, Körber und Johann Brandes. August taucht unter. Am 3. Fegter, Kittner und Bokker, bei Kittner werden mit der Haussuchung Flugblätter im Kühlschrank gefunden. Am 4. Johannes Gödeken und de Groot. Am 5. Anna Janssen und Fritz Scheiwe. In Abständen folgen vom 10. - 12. Hovenga, Liselotte Grimpe, Erich Simon, Quante, Jähn, Heinrich Harms, Buss und sogar Radatz, dessen Schiff zu seinem Unglück in einem deutschen Hafen liegt. Am 17. und 18. verschwinden Paul Groothuis, Rinneberg und Wilhelm Wagner, Bruder von Karl und August, hinter Kerkermauern. Am 25. und 26. folgen Terveer und Peter Bakker, am 30. Freerk Willerts.

September 37

Es trifft den Hauptkassierer Harm Giesen und auch B. Andreehsen am 3. September, am 8. Richard Gödeken und am 10. Aaltje Staub und ihren Mann. Frau Staub wird vorübergehend wieder freigelassen, ihr Mann im Auricher Gefängnis umgebracht. 14. September: Jan Engels und Otto Müller. 23. September: Hinderk Wietjes und Jan Klaassen. Am 24. gelingt der Gestapo ein besonders großer Schlag, es werden zwölf Genossen auf einmal verhaftet: Alois Ziemeck, Johann Steffen, Fritz Piehn, Willi Berg, Wilhelm Strauss, Hillrich Hieronimus, Lüitjen Janssen, Johanna Brandes, Josefine Birth (Byrds?), Ernst Lichtnow, Emma Lichtnow und Dettmer Südhoff. Dazu kommt am 25. Albert Histermann und am 28. Hilko Wallerstein. Dann geschieht für zwei Wochen nichts mehr, und manche glauben sicher schon, es wäre zuende, sie wären noch einmal davongekommen.

Oktober 37

Doch dann werden Gässler, die Loops, Grünefeld und Berend Kruse am 13. Oktober abgeholt. Am 19. noch Grensemann, am 23 Willi Jentzsch, am 26 Henri Mellendorf von seinem Fischdampfer herunter, am 27. Johannes Wilkens.

November 37

Auch die anderen auf Schiffen Arbeitenden kommen nicht davon, in der Reihenfolge ihres Einlaufens werden sie verhaftet. Andere wieder können aus sonstigen Gründen nicht sofort gefaßt werden: Am 2.12. ist Thes Siebelts dran, bei immer noch die Schreibmaschine lagert. Sie wird erst mit seiner Verhaftung in einem Teich gefunden und beschlagnahmt.

Dezember 37

Und August Wagner? Obwohl er wahrscheinlich erst am zweiten August von den schon erfolgten Festnahmen der Mitstreiter Janssen und Groothuis erfährt, vielleicht, weil an diesem Tage sein eigener Bruder verschwindet, gelingt es ihm zunächst, abzutauchen. Er weiß, was jetzt kommt. Daß sein Verstecktsein nur kurz dauern wird. Von seinem Konto bei der Gewerbebank hebt er den darauf befindlichen Restbetrag ab und übergibt ihn seiner Mutter. Die wird sich im Falle seiner Verhaftung damit zunächst über Wasser halten können. Es beginnt nun eine Flucht, die erst am 7. Dezember endet.