7. "Wir werden diesen Tag nie vergessen",

"Bomben auf Engeland "

Musik: Norbert Schulze

Text: Wilhelm Stöppler

hier zu finden (auch mp3).

"Der 6. September 1944

Der erste Luftangriff auf Emden erfolgte am 13. Juli 1940*, der letzte am 25.April 1945 -nur wenige Tage vor Kriegsende. Insgesamt 94 Mal griffen die alliierten Jagdbomber an. Die schwersten Bombardierungen erlebten die Einwohner der Stadt am 6. September 1944, als innerhalb weniger Minuten nahezu die gesamte Innenstadt dem Erdboden gleich gemacht wurde und nur wenige Straßenzüge von der Zerstörung verschont blieben. .....

Insgesamt forderten die zahlreichen Luftangriffe auf Emden 370 Opfer in der Zivilbevölkerung. 164 Schutzbauten - Hoch- und Tiefbunker, Brandwachen, Splitterschutzbunker, Luftschutzkeller und Transformatorenbunker - sorgten für den Schutz der Menschen. Etwa 1900 Männer aus Emden verloren als Soldaten im Zweiten Weltkrieg ihr Leben."

von der ersten Tafel der Ausstellung

 

*Was dem ersten Angriff zwei Monate vorausging (in der Ausstellung fand dies keine Erwähnung)

Am 14.5.1940 zerstörte die deutsche Luftwaffe Rotterdam. Ungefähr 900 Einwohner starben einen Tag vor der Unterzeichnung der Kapitulation der Niederlande.

Um einen (keineswegs vollständigen) Überblick über Daten des Luftkriegs unter besonderer Berücksichtigung Emdens zu geben, habe ich eine kleine Zusammenstellung schon zum Zeitpunkt der Ausstellung verfasst. Im Kulturbunker Barenburg kann sie eingesehen werden.

Natürlich auch hier unter "Luftkrieg" (mit einer geringfügigen Ergänzung).

 

Folgende Opfer des 6.9.1944 wurden nicht erwähnt:

465 jüdische Emder wurden in der Nazizeit ermordet. Den ersten Toten gab es in Emden selbst, in der Progromnacht im Jahre 1938.

Ungefähr 100 Zwangsarbeiter starben in Emden.

5 von ihnen wurden wegen Lebensmitteldiebstahls gehenkt. 5 von ihnen waren kleine Kinder von Zwangsarbeiterinnen.

Auch beim Luftangriff auf Emden am 6. September 1944 starben 6 Ausländer.

 

 

Das Guadarrama-Massiv ist ein Gebirgszug nördlich von Madrid. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936 - 1939) half Hitler-Deutschland den Faschisten Francos, die legale, demokratische Regierung zu stürzen. Dazu wurde die "Legion Condor" eingesetzt, die durch das Flächen-Bombardement Gernikas weltberühmt und berüchtigt wurde. Es war das erstemal in der Geschichte des Luftkriegs, dass ein "Terror-Angriff" (so nannten das die Deutschen später) durchgeführt wurde. - Darüber hinaus knallten die Flieger mit ihren Bordwaffen flüchtende Männer, Frauen und Kinder ab.

Im Januar 2005 wurde der Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 1998 umgesetzt: Angehörige der Legion Condor sollen nicht mehr geehrt werden.

 

 

 

 

hieß die offizielle Ausstellung zur Erinnerung an den 60. Jahrestag der Zerstörung Emdens. Die Mitarbeiter des Ostfriesischen Landesmuseums brachten das Kunststück fertig, die vernichtende Bombardierung Emdens zu zeigen, ohne die Ursachen auch nur zu streifen, aus Platzgründen natürlich, weil sonst die Ausstellung zu umfangreich geworden wäre. Man wolle sich auf die Darstellung der Zerstörung und des anschließenden Wiederaufbaus beschränken, hieß es.

Für wissenschaftlich arbeitende Menschen muss sich eine Methode nicht nur an praktischen, sondern mehr noch an inhaltlichen Gesichtspunkten messen lassen. Ist es zu rechtfertigen, aus "Platzgründen" die Ursache außer Acht zu lassen und nur die Wirkung zu zeigen? Die Antwort muss wohl "nein" lauten.

Emden wurde zerstört, als alle menschlichen Maßstäbe in der Stadt nicht nur mit Füßen getreten, sondern schon weitgehendst zerstört waren. Emder hatten zum Schnäppchenpreis das Hab und Gut ihrer jüdischen Mitbürger erworben, bevor diese aus der Stadt vertrieben oder deportiert und ermordet wurden, einer von ihnen schon am Tage des Pogroms in der Stadt selbst. Die Stadt und viele Firmen ließen Sklavenarbeiter für sich schuften. Die Zwangsarbeiter bauten die Bunker, die so vielen Bürgern Schutz boten, aber nicht ihren Erbauern. Fünf junge hungrige Ukrainer waren öffentlich gehenkt worden. Fünf Kinder, vier Säuglinge und ein Kleinkind von (wahrscheinlich zur Prostitution gezwungenen) Zwangarbeiterinnen sind verreckt und wurden verscharrt, alle noch nach dem Tag, an den erinnert wurde.

Der Untergang Emdens geschah viel früher, am 6.9.1944 wurde er nur ganz deutlich, für jeden sichtbar. Der Untergang wurde nur noch besiegelt. Die Verbrechen, die dazu geführt hatten, geschahen vor, während und noch nach dem vernichtenden Bombardement der Stadt, nicht nur in Berlin, sondern auch in Emden. Der barbarischen Selbstzerstörung der Stadt und des Landes, der Zerstörung Europas und dem Morden an Millionen von Menschen wurde am 8.5.1945 - von außen - ein Ende gesetzt. Die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter der Stadt und des Landes, die Unterdrückten und Entrechteten, die Widerstand geleistet und in Zuchthäusern und Konzentrationslagern vegetiert hatten, die, die Menschen geblieben waren, wurden befreit. Der Rest wurde besiegt.

Nicht nur die unmittelbare Vergangenheit vor der Zerstörung der Stadt hatte keinen Platz in der Ausstellung, auch die soziale und politische Gegenwart blieb ausgeklammert. Das Geschehen fand im luftleeren Raum statt.

Aber es waren sehr verschiedene Emder, die ihre Bunker verließen aund auf ihre zerstörte Stadt schauten.

Da waren die, die im Januar der Ermordung von 5 Zwangasarbeitern jubelnd, das Horst-Wessel-Lied singend, den Arm zum Hitlergruß erhoben, zugeschaut hatten. Sie schworen auf Rache und freuten sich schon darauf, dass der Führer mit seinen Wunderwaffen das treulose Engeland bestrafen würde.

Da waren die Halter von Zwangsarbeitern, die fürchteten, dass einige ihrer Sklaven getötet worden oder geflüchtet waren.

Da waren die Soldaten, auf Urlaub oder wegen Invalidität entlassen, die In der Zerstörung ihrer Heimatstadt die Strafe für die Gräuel sahen, die Deutsche im Osten und vielfach auch im Westen verübt hatten.

Und zuletzt waren da auch die Widerstandkämpfer, die Gegner des barbarischen Regimes, die in der Zerstörung Emdens den Vorschein der kommenden Befreiung sahen. Sie waren mit ihrer Anschauung sehr allein. Ob sie während der Feierwoche zum 60. Jahrestag der Zerstörung der Stadt weniger einsam gewesen wären, darf bezweifelt werden.

Indem die Ausstellung nur das Leid der deutschen Einwohner Emdens in den Mittelpunkt stellte, ohne andere Gedanken und Gefühle, ohne andere Menschen zu berücksichtigen, selbst die nicht, dia auch in der Stadt lebten, wurde sie dem Thema nicht im mindesten gerecht. Sie hinterließ weiße Flecken, in die jeder hineinprojizieren konnte, was ihm gerade so einfiel. Das machte auch die ungeheure Anziehungskraft der Ausstellung aus. Ich traute mich kaum, Kritik zu äußern. Sie wäre erstens überhaupt nicht wahrgenommen und zweitens sofort in Grund und Boden verdammt worden. Eine Diskussion zu diesem Zeitpunkt wäre nicht gut möglich gewesen. Dazu musste die Ausstellung und die Begleitwoche erst überblickt und ihre Auswirkungen analysiert werden. Sie scheint damals ihren Zweck der Reinwaschung, der Befreiung von Schuld, für viele erfüllt zu haben.

Der überwältigende Erfolg dieser Ausstellung war aber auch gleichzeitig ihr größter Makel. Durch ihre Unbestimmtheit gab sie jeder Interpretation Raum. Das Ausschließen des gesamten sozialen und politischen Umfeldes bei der Darstellung eines historischen Ereignisses gehört eher zum Byzantinismus mittelmäßiger neunzehnhundertjähriger Geschichtsschreibung. Mit heutiger historischer Wissenschaft hat dies nichts zu tun.

"Wir werden diesen Tag nie vergessen". Damit war nicht der 1.9.1939 gemeint, der Tag des heimtückischen Überfalls auf Polen. Denn das erste Datum, das in der Ausstellung erwähnt wurde, war der 13.7.1940, als alliierte Bomber aus dort unerklärten Gründen zum erstenmal Emden bombardierten. Dabei lag Rotterdam (zeitlich wie räumlich) doch so nah! So unfreiwillig und selbstentlarvend grotesk kann Selbstbeschränkung oder vielleicht besser: Beschränktheit sein.

Wir sind wieder am Anfang, bei der Eröffnung des Rathauses nach dem Wiederaufbau, als "das große Unheil der Jahre 1939-1945, das Verderben über die Stadt gebracht hatte", endlich vorbei war und beredt beschwiegen wurde. Wir werden den Tag, als "das Rathaus in Trümmer fiel", nie vergessen.

Was alle wissen konnten, wurde doch nicht erwähnt: der Tod von Zwangsarbeitern am gleichen 6.9.1944, das Schicksal der jüdischen Emder in den Konzentrationslagern auch an diesem Tag. Weder die Vorgeschichte der Barbarei noch die gleichzeitige Qual derer, die von den Faschisten aus der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen worden waren oder als Untermenschen und Arbeitssklaven ihr nie angehört hatten, fanden Eingang in diese Ausstellung.

Emden hatte sehr schnell seine Straßen umbenannt, den Boykott jüdischer Geschäfte einige Tage früher durchgeführt als die Hauptstadt und das übrige Reich. Der Rat der Stadt hatte schon 1933 Adolf Hitler zum Ehrenbürger ernannt. Und am Ende, nach allen Verbrechen, ging Emden dem Reich auch im Untergang voran.

Aus der Rüstkammer der Stadt Emden wurde die alte mächtige Waffe des Selbstmitleids zur Verhinderung der Selbsterkenntnis in Stellung gebracht. Die Strategie war ein voller Erfolg. Unter den Trümmern der Folgen, der Zerstörung der Stadt, liegt die Frage nach den Ursachen, nach dem Faschismus und den Verbrechen auch in Emden wieder begraben.

Willkommen in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts! Aber weit entfernt waren wir sowieso nicht von dieser Zeit. Wer in die Löcher in der Darstellung der Geschichte der Stadt im Emder Museum starrt, wem die weißen Flecken schon bald ein halbes Jahrhundert bekannt sind, der wundert sich nicht mehr.

Es ist seit ein paar Jahren wieder salonfähig, von der Zerstörung deutscher Städte, völlig losgelöst vom geschichtlichen Kontext, zu sprechen, auch Bücher zu schreiben.

Es ist allerdings auch eine Tatsache, dass seitdem jährlich am 13.Februar zum Beispiel Dresden Ort einer Neonazi-Wallfahrt mit Teilnehmern aus der ganzen Bundesrepublik ist.

"Wir halten Gericht. Ein Weltreich zerbricht," hatten die feschen Flieger gesungen, während die Mädels alle warten mussten. Dann war zum zweitenmal in einem Jahrhundert ein Weltreich zerstört, bevor es noch fertig erobert war.

Der Zerstörung Emdens war die Zerstörung der baskischen Stadt Gernika ziemlich genau 7 1/2 Jahre vorausgegangen, das erste Flächen-Bombardement in der Geschichte des Luftkriegs mit ungefähr 300 Toten unter den damaligen 10 000 Menschen in derStadt, Einwohnern und Flüchtlingen des spanischen Bürgerkriegs. (Über die Zerstörung Gernikas) Lange Zeit waren nach Offizieren der deutschen "Legion Condor" Kasernen und Einheiten der Bundeswehr sowie die Charterflug-Gesellschaft der Lufthansa benannt.

Nach heftigem soldatischem Widerstand dürfen seit dem Jahr 2005 diese Männer in der Bundeswehr nicht mehr geehrt werden.

Das war ein Viertel Jahr nach der Ausstellung zum 60. Jahrestag der Zerstörung Emdens.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es die Ausstellung peinlichst vermeiden wollte, irgendwelche Zusammenhänge aufzuzeigen. Und das ist ihr auch vollkommen gelungen. Was da veranstaltet wurde, war Gedenken ohne Denken, gedankenloses, bewusstloses Gedenken. War 40 Jahre zuvor das Rathaus noch "in Trümmer gefallen", so konnten jetzt die Schuldigen offen genannt werden. Das war die Fortsetzung einer deutschen, und natürlich auch einer Emder Tradition. Die war nur kurz von der 68er-Generation gestört worden. Aber die Aufmüpfigen von damals haben sich zum großen Teil inzwischen auch zur Ruhe gesetzt.

 

 

 

 

 

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