Brief von Herrn Kruizinga. Erschießung von elf Niederländern.

Die Ubbo-Emmius-Gesellschaft erhält von Zeit zu Zeit Anfragen, Anregungen und ergänzende Texte von den Lesern ihrer Website. Weil einige davon sehr aufschlussreich sind und/oder zum Teil sogar neue Fragen aufwerfen, haben wir uns entschlossen, diese Zuschriften zu veröffentlichen - natürlich immer nur mit Zustimmung der Schreibenden.

Den Anfang soll ein Brief des Emders Kruizinga machen, in dem ein Geschehen berichtet wird, das bis heute keine Erwähnung in der Emder Zeitgeschichte fand und das auch für die regionale Presse keine Bedeutung zu haben scheint.

Es ist dies ein Bericht über 11 erschossene Niederländer kurz vor Ende des Krieges auf dem Emder Kasernengelände. Wir - die Ubbo-Emmius-Gesellschaft - haben merhfach versucht, das Geheimnis um die Getöteten zu lösen. Aber selbst in Zusammenarbeit mit holländischen Freunden sind wir dabei keinen Schritt weiter gekommen. Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Zeitzeugen, der uns weiterhelfen kann...

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(Den Brief von Herrn Kruizinga haben wir allerdings schon bekommen, bevor unsere Seite im Netz war. Der Sohn hat uns die Genehmigung erteilt, den Brief seines inzwischen verstorbenen Vaters zu veröffentlichen. )

Vorbemerkung: Ich fragte seinerzeit auf einen Hinweis eines anderen Zeitzeugen bei Herrn Kruizinga nach, ob er vielleicht weitere Informationen über die Zeit des Faschismus und den Widerstand in Emden hätte. Darauf erhielt ich die folgende (handschriftliche/ in Klammern gesetzte Wörter sind nach dem Sinn ergänzt) Antwort.

Emden, den 13.1.2001

Ich habe Ihren Brief dankend erhalten. Ich freue mich, dass es noch Leute gibt, die helfen, die Vergangenheit aufzuarbeiten, und das, was sich in der Nazizeit abgespielt hat.

Ich bin als Niederländer in Emden geboren, 1918. Ich habe meine Nationalität nie aufgegeben.

Der Holland-Verein (wurde) 1921 aufgerichtet (und) 1943 verboten. Die Niederländer hat man im ersten Weltkrieg nach Emden geholt: Schiffszimmerleute, Loggerkapitäne, Schiffbauer, Maschinenleute. Beim Ende des ersten Weltkrieges sind die Niederländer in Emden geblieben. Da die Niederlande im ersten Weltkrieg neutral waren, sind die Niederländer in Emden geblieben. Es war schwer. Es kam die Zeit der Inflation in Deutschland, wovon auch die Niederländer betroffen waren. Die Protokollbücher weisen aus, dass man in Neuschanz-Winschoten versuchte, Lebensmittel zu bekommen, unter anderem 5 Wagen Kartoffeln, (die man) nach Emden (brachte). Zwei Wagen für die Holländer, drei Wagen für die Emder. (Auch) Kinder wurden verschickt nach den Niederlanden (und) bei Familien (untergebracht), was durch den niederländischen Konsul A.H. Michielsen sowie die ,Eendracht' organisiert wurde.

Nun komme ich zu der Zeit der Nazis.

Die ,Eendracht' wurde verboten, da es keine politischen Aufgaben in der Satzung hatte, nur kulturelle Aufgaben erfüllte. Ich war Schiffsführer bei der Fa. Peter de Boer. Meine Eltern wurden 1943 ausgewiesen, drei schulpflichtige Kinder mussten sie mitnehmen. Ein Bruder von mir sowie eine Schwester haben bis Ende des Krieges (in Emden gearbeitet), mein Bruder bei der EVAG, die Schwester im Krankenhaus. Beide sind nach dem Krieg zurück nach Holland zu den Eltern.

Ich habe 1944 geheiratet. Der Standesbeamte konnte sich nicht vorstellen, dass meine Frau automatisch Niederländerin (wurde) laut Gesetz. Heiraten mit einem Niederländer... (ob diese Ehe haltbar war?). ,Ich weiß nicht', sagte er zu mir, ich weiß, sie wollen nicht Deutscher (werden) und sie wollen nicht in den Krieg'. Die schwedische Botschaft in Berlin hatte von der niederländischen Regierung aus England die Schutzmacht für alle Niederländer zu übernehmen. Da meine Frau laut Gesetz Niederländerin geworden ist, bekam sie ihren Pass von der schwedischen Botschaft in Berlin.

Nun zu ihrer An(frage) Niederlande/Faschismus. Ich war mit dem Schlepper (in) Mariensiel bei Wilhelmshaven. Ich musste zum Schleusenmeister. Wie ich zurückkam -dies war kurz vor Kriegsschluss- waren an Bord bei mir zwei Leute. Ich kannte sie beide, es waren Emder. (Ihre) Namen waren Peter Freese und Herr Schaldach. Die SS war geflohen. Beide waren jahrelang in Konzentrationslagern gewesen. Beide hatten sich aus dem Lager - bevor sie weggingen - in kaltes und in heißes Wasser setzen müssen. Ich habe sie beide gepflegt an Bord. Ich sagte: ,Bleibt hier, bis der Krieg vorbei ist'. Ich fragte: ,Was macht ihr, wenn ihr zuhause ankommt, mit denen, die euch ins Lager gebracht haben?' Die Worte waren: ,Wir werden nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, aber was sie aus Deutschland gemacht haben, sollen siemit eigenen Händen wieder aufbauen.'

Widerstand.

Ich habe vor Ende des Krieges eine Blindgängerbombe neuesten Typs (gefunden). Die waren schon unterwegs, sie abzuholen. Es war flächenlang Kautschuk auf der Erde bei der Schleuse. Ich habe das angesteckt und sie war hochgegangen. Wie wir nach Emden kamen, mussten wir an der Schleuse anlegen. Da kriegten wir Order, dass wir wieder losfahren mussten. Es war damals die Norddeutsche Schleppgenossenschaft. Da war der Leiter ein Herr König. Er kam bei mir an Bord und sagte, die Gestapo wäre bei mir, sie wollten mich abholen. Es war so! Sie brachten mich ins Gefängnis Emden. Am nächsten Morgen wurde ich abgeholt. Sie brachten mich nach Wilhelmshaven (ins) Gestapogebäude. Die SS, die mich hinbrachte, kam aus dem Zimmer. Sie gingen fort. Ich musste ins Zimmer. Da saßen die Schlächter. Ich hatte Glück, die Norddeutsche Schleppgenossenschaft brauchte mich. Der Schlepper musste fahren, und sie hatten keinen. Nur mich. Herrn Janssen verdanke ich, dass ich noch lebe. Er hatte wohl Kontakt mit diesen Leuten. Ich konnte meine Arbeit wieder aufnehmen mit (der) Auflage, dass ich unter Beobachtung stand.

Schlusspunkt-Widerstand

Bei Kriegsende wurde ich bei den Engländern und (der) niederländischen Marine sowie (bei der) Port Control eingestellt. Ich hatte die Aufgabe, viele gestohlene Schiffe aus den Niederlanden aufzuspüren und zurück zu bringen. Ein niederländischer Major van Wezel war zugeteilt bei den Engländern.

Durch Zufall bekam ich eine Information von einer Frau, die in der Kaserne Emden in der Telefonzentrale arbeitete. Es war Mittag, da kam ein Schießkommando vom Kasernenplatz. Sie sind ganz traurig gewesen und sie wollten auch kein Essen. ,Was ist passiert?' fragte sie. ,Ja - wir mussten heute morgen 11 Niederländer erschießen auf dem Kasernenplatz. Dieses war kurz vor Kriegsschluss passiert. Die 11 Niederländer wurden bei der Gestapo vorgefahren. ,Was machen wir jetzt?' fragten die Soldaten. ,Erschießen!' Der Gestapo-Offizier hatte sich später, wie er abgeholt werden sollte, erschossen.

Ich habe mich mit dem Niederländischen Major in Verbindung gesetzt. Wie sind sofort zum Friedhof Tholenswehr gefahren. Der Friedhofswärter machte so, als wüsste er es nicht. Major van Wezel sagte: ,Wir kriegen es raus, wo sie liegen.' Er ging dann mit uns zu der Stelle, wo alle Elf im Massengrab lagen: Fotos von der Familie, Uhren in der Hand, volle Kleidung... so waren sie verscharrt. Major van Wezel hat ein Kommando Soldaten, die für diese Aufgaben geschult (waren), von Delfzijl nach Emden geholt. Alle wurden nachden Niederlanden zurück gebracht.

Meine Hand fängt ein bisschen an zu zittern. Ich kann im Moment nicht mehr viel tun. Vielleicht bekomme ich von Ihnen noch eine Nachricht. Es wäre gut, als Erinnerung, wenn es noch mal in die Zeitung kommt. Ich habe bis jetzt keinen Gebrauch gemacht. Vielen Dank.

W. Kruizinga, Ehrenvorzitter ,Eendracht'."

Angefügt ist noch ein kleiner ebenfalls handgeschriebener Zettel:

"... Ich habe da viel geschrieben. Sie können sich ja die wichtigsten Daten herausholen. Ich habe es noch nie jemand mitgeteilt. Es wäre gut, wenn Sie, was ich Ihnen zukommen lasse, über die Presse laufen lassen. Es werden ja schon viele wieder frech. Da würde vielleicht für manchen eine Rückbesinnung helfen...."

Hans-Gerd Wendt                                                                                    Home