Bolardus-Friedhof Emden
Volkstrauertag auf dem Bolardus-Friedhof in Emden

Wir sehen hier die Gräber deutscher Soldaten des 2.Weltkriegs. Wir lesen einzelne Namen, das Geburts- und Todesdatum, und vielleicht ertappen wir uns dabei, wie wir ausrechnen, wie alt derjenige geworden ist, vor dessen Grab wir stehen.

Mehr wissen wir von den Toten nicht. Um mehr zu erfahren, müssen wir zur Friedhofsverwaltung gehen oder in das Stadtarchiv.

Und im Archiv können wir dann herausfinden, dass von den hier Beerdigten 19 durch Selbstmord gestorben sind, 19 auf einem doch recht übersichtlichen Gräberfeld wie diesem.

Selbstmord ist natürlich das letzte, was in einer stolzen, heldenhaften Armee passieren darf. Und so gibt es sie einfach gar nicht, die Selbstmörder. Niemand redet von ihnen. In der Literatur über den 2.Weltkrieg sind sie mir bisher nicht begegnet.

Trotzdem müssen sie, versucht man einmal, die Zahlen dieses Gräberfelds hoch zu rechnen, eine massenhafte Erscheinung gewesen sein.

Man sollte aber auf keinen Fall die Geschichte den Historikern überlassen. Besonders in Emden kommen wir da nicht weit, in dessen Landesmuseum in der Dauerausstellung Nazizeit, Judenverfolgung und 2.Weltkrieg bisher weiße Flecken auf einer multimedialen Landkarte sind.



Um mehr zu erfahren, haben wir schließlich ja noch die selbst ernannte westliche Wertegemeinschaft, die zur Zeit überall auf der Welt, auch mit Beteiligung der Bundeswehr, Krieg führt, den man neuerdings in der Bundesrepublik auch schon fast so nennen darf, nämlich: kriegsähnliche Zustände.

Im Militär unserer Kriegs-Führungsmacht, der USA, ist vor kurzem etwas geschehen, was man sonst dort nur zu gut aus dem Zivilleben kennt, aus den Betrieben und Schulen des Landes: ein Amoklauf.

Natürlich setzte sofort der in solchen Zusammenhängen eingespielte Reflex des kompletten Unverständnisses ein. Auch der oberste Kriegsherr und Friedens-Nobelpreisträger beteiligte sich.

Obwohl es inzwischen Erkenntnisse gibt, die auch für Amokläufe durchaus verständliche Erklärungen bieten, will ich mich hier damit jetzt nicht beschäftigen, nicht spekulieren.

Lieber möchte ich mich denjenigen zuwenden, die den Zusammenhang zu verstehen versuchen. Dazu möchte ich aus der kalifornischen Zeitung Presstelegram vom 10.11. zitieren:

"Doch die Morde letzte Woche in Fort Hood sind nicht isoliert. Allein dieses Jahr tötete ein Ehemann seine Frau, dann sich selbst. Sie waren gerade nach Fort Hood vom Dienst im Irak zurückgekehrt. Ein anderer Soldat, der zweimal im Irak gewesen war, tötete sich im Appartement eines Freundes. Und im gleichen Monat tötete ein dekorierter Soldat, gerade zurück vom Irak, einen Kameraden.

In den letzten 6 Jahren haben 76 Soldaten, die nach Fort Hood versetzt wurden, Selbstmord begangen, gemäß einem Artikel der New York Times. Es hat 10 Selbstmorde in Fort Hood allein in diesem Jahr gegeben.

In den letzten 8 Jahren sind die Berichte über häusliche Gewalt um 75% angestiegen. Während die Gewalt in den Städten der Größe von Killeen, wo Fort Hood liegt, zurückgegangen ist ist die Gewalt in Killeen um 22% gestiegen. (In der ganzen Nation werden 1,7 Millionen Fälle häuslicher Gewalt berichtet, eine Zahl, die ansteigt aufgrund der wirtschaftlichen Krise des Landes, gemäß einer Untersuchung der Zufluchtsstätten für häusliche Gewalt. Die meisten Mißbrauchten sind Frauen.)

Ein katholischer Priester sagte der Times, dass Erschöpfung und andere Belastungen überhand nehmen. Auch Scheidungen nehmen überhand, sagte er. "Jede Nacht schreien sich in meinem Appartment-Komplex ein Soldat und seine Frau gegenseitig an," sagte er.

Ein Soldat sprach davon, dass er von einem Offizier verspottet wurde, als er sich über Stress beklagte. Einer, der nach Fort Hood zurück kam , erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste ins Krankenhaus.

Nachdem ein weiterer Soldat Selbstmord begangen hatte, sagte der Kommandeur des Stützpunktes dem Kongress, dass er mehr psychologische und psychiatrische Fachleute brauche.

Im Juli kam Major Malik Hasan, ein Psychiater, in Fort Hood an, um gestressten Soldaten zur Seite zu stehen. Er wird beschuldigt, 13 Kameraden getötet und 30 weitere verwundet zu haben in der schlimmsten Gewalttat auf einem US Militärstützpunkt.

Die Armee hat zugesichert, die Sorge für gemeingefährliches, selbstmordgefährdetes und anderes gestresstes Personal anzugehen. Der Kongress sollte so viel Geld bereitstellen, wie immer dafür benötigt wird, um genau das zu tun. Bevor wir die traurigste Melodie im Album der Traurigkeit wieder hören."

Auf www.tomdispatch.com war am 8.11. zu lesen:

"In einem bitteren Artikel des Wall Street Journal vom 3. November (der tief drinnen in der Zeitung versteckt war) berichtete Yochi Dreazan von Rekord-Selbstmord-Raten für eine gestresste US-Armee. 16 Soldaten töteten sich alleine im Oktober, 134 bisher in diesem Jahr, sie stellten damit im wesentlichen sicher, dass der 'Rekord' des letzten Jahres von 140 Selbstmorden gebrochen werden wird. Dies stellt einen erschreckenden 37%-Sprung in Selbstmorden seit 2006 dar und bringt zum ersten Mal die Selbstmordrate in der US-Armee über die der Gesamtbevölkerung."

Eine große Zahl von Soldaten kommt aus dem Irak und Afghanistan mit psychischen Problemen nach Hause, viele mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie können die Gewalt und den Horror, die sie gesehen oder vielleicht gar selbst verbreitet haben, einfach nicht mehr ertragen.. Oft werden sie deswegen auch noch von ihren Kameraden und Vorgesetzten verspottet. Viele halten es nicht mehr aus, brechen aus und begehen somit Fahnenflucht, um ihre Probleme zu lösen.

Der Krieg kehrt nach Hause zurück. Das ist ein jetzt oft gehörter Kommentar in den USA.




Seitdem die hier liegenden Toten zur letzten Ruhe gebettet wurden, haben die USA Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Unzählige Kriege sind geführt worden. Millionen von Menschen wurden ermordet. Die Waffentechniken wurden immer weiter verfeinert.

Aber das hat auch dazu geführt, dass es immer teurer geworden ist, einen Menschen im Krieg zu ermorden. In den USA, dem am meisten militarisierten Land der Welt, das mehr Geld für Waffen und Krieg ausgibt als alle anderen Länder zusammengenommen, heißt es jetzt: Kanonen statt Butter. Menschen verelenden, während die Ausgaben für Rüstung und Banken explodieren. Wahrscheinlich kann dies nicht mehr lange gut gehen.

Die Propaganda für die Kriege ist auch immer raffinierter geworden. Man führt ja keinen Krieg mehr, das sind humanitäre Einsätze. Man verbreitet allenthalben die Demokratie, zuletzt wieder in Afghanistan. An diese Farce kann sich noch jeder erinnern. Demnächst finden wieder freie Wahlen im Irak statt.

Aber die Zustimmung der Völker zu den immer neuen Kriegen schwindet, abgesehen von den USA, in denen bei Beginn des Irak-Kriegs ein patriotischer Taumel das Land erfasste. Doch inzwischen hält sich auch dort die Begeisterung in sehr engen Grenzen, selbst die Zustimmung zum Krieg in Afghanistan und Pakistan bröckelt,

Die Selbstmörder, die hier beerdigt sind, haben eine sehr einsame Entscheidung getroffen. Es gab für sie nicht -wie heute- die Möglichkeit, für ihre psychischen Belastungen auf irgendeine Hilfe zu hoffen. Sie mussten mit allem ganz alleine fertig werden. Und viele haben das nicht geschafft. Sie verdienen weit mehr Achtung als diejenigen, die, womöglich mit gutem Gewissen, nach Massakern nach Hause zurückgekehrt sind.

In unserem Einsatz gegen die diversen Kriege sollte wir ruhig auf die Erfahrungen der psychisch verwundeten Soldaten zurückgreifen. Ich denke, wenn es ihnen gelingt, die Sprache wieder zu finden, können sie am deutlichsten und überzeugendsten gegen den Krieg Stellung nehmen, von innen heraus. Das ist eine Chance gegenüber den Politikern im Bundestag, die in unserem Lande so ziemlich die einzige Gruppe sind, die sich mehrheitlich für den Krieg ausspricht.

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