Emder Triptychon 1944
Vor dem Gedenkstein für die 5 UkrainerAuf dem SchießplatzStein für die verhungerten Säuglinge
(Vor dem Gedenkstein für die fünf am 26.1.1944 erhängten Ukrainer auf dem Friedhof Tholenswehr)

1944 + 70 = 2014

Dieses Jahr ist das Jahr des 70-jährigen Gedenkens in Emden.

Das wurde für die meisten wieder auf den 6. September eingeengt. Es wurden wieder neue Zeitzeugen gefunden, die sich an diesen Tag erinnerten, den Tag der äußeren Zerstörung Emdens durch alliierte Bombenflugzeuge.
(Auf dem ehemaligen Schießplatz  im Stadtwald. Wurden hier die drei Niederländer erschossen? Es war am14.9.)


Doch Emden war schon lange vorher  zerstört, von innen her,  schon seit März 1933, dem Boykott jüdischer Geschäfte, der hier früher als in Berlin begann
, und mit einer Verhaftungswelle unter Regime-Gegnern und Kommunisten. 1937 war der Kommunist  Karl Staub im Gefängnis in Aurich getötet, am 9.11.1938 der jüdische Schlachter Daniel de Beer vor der Polizeiwache angeschossen worden, so dass er wenig später im Krankenhaus verstarb.



(Der Gedenkstein für die sieben Kinder von Zwangsarbeiterinnen, die in Emder Lagern am Ende des Jahres 1944 verhungerten.)

Im Herbst 1941 waren die Juden aus Emden deportiert worden, wofür es nun Zeitzeugen gibt.

Im Jahre 1944 fanden die faschistischen Mordtaten
dann ihren Höhepunkt. Sie hörten auch nach dem 6. September, nach der nahezu vollständigen Zerstörung der Stadt, nicht auf. Sie setzten sich bis zum Jahresende fort

Es gibt in Emden jedes Jahr einen Fixpunkt, einen festen Gedenktag, der in seiner Bedeutung alle anderen überragt, und das ist der 6. September, der Tag  der  fast vollständigen Zerstörung der Stadt im Jahre 1944. Fast jedes Jahr werden im Gedenken daran Theaterstücke aufgeführt, berichten Zeitzeugen von ihren Erlebnissen, natürlich auch 2014, 70 Jahre danach.

Die Grundlage der diesjährigen Haupt-Theater-Aufführung bildeten die "Kinderszenen im September 1944" der späten Marianne Claudi. Sie hat ihnen eine Nachbetrachtung angefügt, mit dem Titel "Was in der Erzählunng nicht gesagt wurde". Sie widmet sich darin dem schwierigen Verhältnis von Zeitzeugen-Berichten und Dokumenten bei der Betrachtung von Geschichte.

Neben dem 6. September ist der 9. November ein Fixpunkt in der Erinnerungs-Kultur der Stadt.

Nach dem Tod des kommunistischen Widerstands-Kämpfers Karl Staub im Auricher Gefängnis 1937 wurde in der Nacht des 9. Novembers 1938 der jüdische Schlachter Daniel de Beer vor der Polizeiwache nieder geschossen. Er starb wenig später im Krankenhaus. Ab 1937/1938 gehörten  Mordtaten zum Arsenal der Unterdrückung durch die Faschisten in Emden. Im Herbst 1941 wurden die Juden in den Osten deportiert, wo die meisten von ihnen in den Konzentrationslagern ermordet wurden.

Was können Zeitzeugen von den Mordtaten der Nazis in Emden berichten? Was konnten sie davon erfahren haben außer Berichten vom Hörensagen?

Wir hatten "Glück" und fanden einen Zeitzeugen des Grauens, Herrn Bernhard Brahms, der als Jugendlicher am 26.1.1944 die Erhängung von fünf jungen  Ukrainern  gesehen hatte. Er hat 66 Jahre lang geschwiegen. Er war froh, als er uns gegenüber sein Schweigen endlich brechen konnte.Er stiftete einen Stein auf dem Friedhof Tholenswehr für die Mordopfer. Später erfuhren wir, dass sie 1961 nach Bremen geschafft worden waren.

Am 15. Oktober 2014 war in der Emder Zeitung von zwei Zeitzeugen zu lesen, die sich an die Deportation der Emder Juden vor damals 73 Jahren erinnern konnten.
Es gibt noch einen anderen Zeitzeugen, den kommunistischen Widerstands-Kämpfer Friedrich Loop, der  die Zeugnisse seines bewussten politischen Lebens in der Nazizeit aufgeschrieben hat . Seine Veröffentlichung kam leider sehr früh, 1985,  als man von solchen Berichten ( und auch noch von einem Kommunisten ) nicht unbedingt hören wollte. Die Broschüre ist heute noch lesenswert (auf unserer Seite zu finden).

Das Jahr 1944 war ein Blutjahr für die Ausländer, für die Zwangsarbeiter. Im Januar waren in der Ziegeleistraße die Ukrainer erhängt worden. Nach dem 6. September, am 14. September 1944, waren drei Niederländer erschossen worden. Am Ende des Jahres verhungerten sieben Säuglinge in den Zwangsarbeitslagern  der Stadt.

Dafür gibt es keine Zeugen. Aber alle diese Ereignisse sind beurkundet. An all diese Geschehnisse könnte erinnert werden, obwohl es keine Zeugen für sie gibt. All diese Ereignisse betrafen Menschen, die nicht aus Emden kamen, sondern die von weit her, aus ganz Europa, hierher verschleppt worden waren.

Ralph Giordano hat das Wort von der "zweiten Schuld" geprägt. Die "erste Schuld" waren die Morde der Nazis. Die 
"zweite Schuld" war das lange Schweigen danach. Auch in Emden ist nach dem Zweiten Weltkrieg sehr lange geschwiegen worden, über manches bis heute.

Emden war schon am 5. September 1944 zerstört, von innen her. Recht und Menschlichkeit waren tot, schon seit März 1933, seit dem Boykott jüdischer Geschäfte und der gleichzeitigen Verhaftung von Regime-Gegnern und Kommunisten. Emden war am 5.9.1944 bereits  innerlich zerstört.

Am 6.9.1944 fogte schließlich die Zerstörung von außen.

Erst wenn  man in Emden an all die Gräuel, die die Nazis in der Stadt verübten, ebenso denkt wie an das Grauen der Zerstörung der Stadt durch die Bomben, erst dann wird man mit einiger Berechtigung von einer aufrichtigen Erinnerungs-Kultur in Emden sprechen können.

2014 könnte noch begonnen werden, mit einem Gedenken an die verhungerten Säuglinge, am Fest der unschuldigen Kinder, 70 Jahre danach.

Seit zwei Jahren werden in Emden "Stolpersteine" verlegt.  Ist das ein erstes Zeichen eines Umdenkens in der Stadt?

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