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Die Vorgänge um die Afrika

Am 21. Dezember 1936 sinkt in der Nordsee vor Norwegen der Emder Dampfer "Afrika".

Der Untergang des Schiffes und vor allem auch die Rettung fast der gesamten Besatzung spricht sich schnell herum in der Hafenstadt. Gleichzeitig mit den zunächst vagen Informationen macht aber auch schnell ein Gerücht die Runde, wonach möglicherweise die Kommunisten das Sinken des Erzdampfers verursacht haben könnten.

Im Januar 1937 fragt deshalb der SD (Sicherheitsdienst) bei der Dienststelle der „Geheimen Staatspolizei“ in Emden nach, was an in der Stadt umgehenden Gerüchten über eine Sabotageaktion der Kommunisten bezüglich der „Afrika“ wahr sei. Es sei zu hören, dass „die hauptsächlich aus Kommunisten bestehende Besatzung (...) das Schiff in Rettungsbooten verlassen (habe), nachdem es für eine Versenkung vorbereitet worden sei. Das Gerücht wird als Sabotage am Vierjahresplan bezeichnet und in Verbindung gebracht mit der wahllosen Aufnahme von Volksgenossen in die NSDAP, wo unter dem Deckmantel der Parteizugehörigkeit ungestört gearbeitet werden kann.“ (BA Lichterfelde Akte R 58/3028 Bl. 126) Der SD ist kein normaler Polizeidienst, ihm obliegt vor allem die Überwachung der politischen Gegner. Wenn sich also eine zentrale SD-Stelle in Berlin für Vorgänge in Emden interessiert, geschieht dies nicht ohne einen wirklichen Hintergrund. Von wem die Berliner -unter Umgehung der örtlichen Polizei!- informiert worden sind, bleibt offen.

Gründe, an einen möglichen Anschlag zu glauben, gibt es allerdings genug. Seit einem halben Jahr kämpft in Spanien die gewählte linke Volksfront gegen ein Putschistenheer unter dem General Franco. Franco wird massiv von den faschistischen Staaten Deutschland und Italien unterstützt. In diesem Zusammenhang haben verschiedene der Volksfront nahe stehende internationale Organisationen angekündigt, der rechtmäßigen spanischen Regierung mit allen Mitteln helfen zu wollen, und dabei sahen Pläne der Kommunisten auch die massive Verhinderung allen Nachschubs für die Putschisten vor – bis hin zu Sabotageaktionen auf Schiffen. Durch Spitzel wissen natürlich auch die Nazis davon.

Und die Hafenstadt am Dollart ist berüchtigt als starker kommunistischer Stützpunkt. Die Konsequenz der Emder Seeleute, mit der sie sich für ihre politischen Ansichten einsetzen, ist mit den großen Streiks Anfang des Jahrzehnts bekannt geworden. Dazu kommt, dass gerade der Kapitän der „Afrika“ eben seit diesen Arbeitskämpfen verhasst ist (siehe auch „Der große Streik der Seeleute 1931“).

Was wirklich geschah in jener Nacht auf hoher See kurz vor Weihnachten, ist nicht mehr genau zu klären. Möge sich der Leser selbst ein Urteil bilden:

Die "Afrika" (Unterscheidungssignal DGKA) war ein Dampfer der Emder Atlas-Reederei, 146 Meter lang, 19 Meter breit und 10 Meter tief. Die Maschine konnte 3000 PS entwickeln. Gebaut im Jahre 1915 auf der Weserwerft fuhr die "Afrika" zunächst unter dem Namen "Schwarzenfels" für eine deutsche Reederei, wurde aber nach dem ersten Weltkrieg als Reparation an England abgeliefert und lief unter der englischen Fahne als "Anglo Columbien" bis Oktober 1935, als sie auf einer Werft in Skields grundüberholt wurde. Das britische Versicherungsunternehmen Lloyds gestand dem Schiff daraufhin die höchste Klasse für die nächsten 4 Jahre zu. 1936 ging der Dampfer durch Kauf in den Besitz der Emder Atlas-Reederei Aktiengesellschaft über.

Die ersten zehn Reisen des in der Erzfahrt zwischen Emden und Narvik beschäftigten Schiffes verliefen ohne wesentliche Zwischenfälle. Anfang Dezember ging die „Afrika“ von Rotterdam aus nach Narvik, um Eisenerz zu laden. Es war die elfte Reise.

Am 18. Dezember 1936 um 15 Uhr -und Offiziere wie Mannschaft dachten bestimmt nur an das kommende Weihnachtsfest, das sie im Kreise ihrer Familie würden feiern können- verließ das Schiff mit 11490 Tonnen Eisenerz für Emden unter dem Kapitän Johannes Müllmann den Hafen Narvik, ca. 500 Tonnen weniger als bei den Reisen im Sommer. Allerdings hatte sie noch ein besonderes Ladegut, nämlich die Leiche des in Narvik verstorbenen Heizers Tjaden, gebürtig aus Emden, die am 18.12 um 10 Uhr vormittags an Bord gebracht worden war und ihm Spardeck aufgebahrt lag. Der Körper Tjadens sollte nach Emden überführt werden.

Kapitän Müllmann war ein erfahrener Mann. Weit über hundert Reisen von und nach Narvik hatte er bereits absolviert, er galt als einer der fähigsten Kapitäne der Atlas Reederei. Vor Beginn der Ausfahrt war das Schiff seetüchtig gemacht, die Bilgen und Tanks lenz gepeilt und die Luken mit dreifachen Persenningen überzogen, geschalkt und mit Drähten gelascht worden. "Die 'Afrika' befand sich in gutem und seetüchtigem Zustande.

Mit dem zweiten Tag der Reise begann sich allerdings das Wetter zu verschlechtern. Am 19. Dezember drehte der mäßige Wind von Südsüdost nach Südwest und nahm an Stärke zu. Am frühen 20. Dezember herrschte bereits Sturm aus Südwest mit hohem Seegang, so dass das Schiff viel Wasser über Back, Deck und Luken nahm und weitere Raumpeilungen unmöglich wurden. Die Maschine wurde auf halbe Kraft gedrosselt. Gegen 14 Uhr hatte der Sturm Orkanstärke erreicht. Über den Dampfer rollten nun schwere Brecher hinweg und der Kapitän verminderte die Fahrt soweit, dass er steuerfähig blieb und mit dem Bug gegen den Wind gehalten werden konnte. Da die Schraube immer wieder in der hochgehenden See weit über das Wasser kam, musste die Maschine ständig gedrosselt werden. Und weil eine Peilung der Bilgen vom Oberdeck aus wegen der ständig überkommenden schweren Seen nicht möglich war, ließ der leitende Maschinist während der Nacht auf jeder Wache alle 1-2 Stunden die Lenzpumpen laufen. Bis um sieben Uhr früh waren alle Bilgen leer.

Zu diesem Zeitpunkt hatten weder der Schiffszimmermann noch der Bootsmann auf einem kontrollierenden Rundgang irgendwelche Veränderungen in der Lage der "Afrika" bemerkt. Die Luken des Vorschiffs leuchtete der Zimmermann mit einem Scheinwerfer von der Brücke aus ab und konnte nur feststellen, dass alles dicht und in Ordnung war. Kapitän Müllmann, der fast 15 Stunden auf der Brücke ausgeharrt hatte, legte sich beruhigt gegen halb fünf zu einem kurzen Schlummer nieder.

Aber schon drei Stunden später erschien er wieder auf seinem Kommandoposten, denn gegen acht Uhr hatte die Wache eigenartige Bewegungen des Schiffes wahrgenommen und bemerkt, das es sich langsam vorn über zu neigen begann. Der Grund war unklar, keiner der Besatzung hatte irgendwelche auffallenden Geräusche gehört, die bei einem Leckschlagen im Bugbereich entstanden wären. Der schweren über den Bug hinweg rollenden Brecher wegen war es aber auch unmöglich, den Zustand des vorderen Schiffsteiles direkt zu überprüfen.

Der Kapitän befahl daher eine volle Wendung, um vor den Wind und die See zu kommen und damit den Bug begehbar zu machen. Jedoch alle Versuche, die "Afrika" mit Hilfe des Ruders und der Maschine über Backbord oder Steuerbord herum zu drehen, schlugen fehl.

Mittlerweile war nun doch aus dem Vorschiff ein dumpfes Rollen zu vernehmen und der Eindruck, dass der Dampfer dort tiefer lag, verstärkte sich. Der Kapitän gab die Anweisung, alle verfügbaren Pumpen im Bugbereich einzusetzen und wirklich wurden große Massen eingedrungenen Meerwassers außenbords gepumpt. Schon bald wurde jedoch klar, dass die abgesaugten mit den zufließenden Mengen nicht Schritt halten konnten. Darüber hinaus war die Farbe des über Bord gehenden Wassers mittlerweile in eine schmutziggelbe Färbung übergegangen, die nur den Schluss zuließ, dass die See schon die Ladung erreicht hatte. Der Kapitän ließ daraufhin den zweiten Offizier wecken und gab ihm den Auftrag, sofort ein Telegramm über die Lage des Schiffes an die Reederei zu senden und anschließend unter Angabe der Position des Schiffes SOS zu funken. Noch bestand Hoffnung, dass die "Afrika" sich mit eigenen Mittel würde helfen können. Auf die vorsorgliche Bitte um Hilfe meldeten sich die Landstation Rörvik und die Dampfer "Vollrath Tham" und "Nyland". Aus Rörvik wurde kam die Mitteilung, dass ein Bergungsschiff und ein Rettungsboot ausgelaufen wären. Von der "Nyland" wurde gefunkt, sie stünde nur etwa 40 Seemeilen in südlicher Richtung und würde mit Vollkraft auf das Emder Schiff zusteuern.

Der zweite Offizier ließ die Verbindung mit den zu Hilfe eilenden Dampfern nicht mehr abreißen, denn die Lage der "Afrika" wurde immer bedenklicher. Zeitweise stand schon das ganze Vorschiff bis zur Reling unter Wasser, so dass der Kapitän schließlich den Befehl geben musste, sich bereit zu machen, um in die zwei Boote zu gehen. In Eile stellte die Mannschaft die Maschine ab, konnte aber die Feuer nicht mehr löschen. Und während Ballastpumpe und Lichtmaschine weiter arbeiteten, wurde der Maschinenraum verlassen.

Das Schiff trieb nun mit gestoppter Maschine quer zur See und damit wurde ein Aussetzen der Boote in Lee an der Steuerbordseite möglich. Deutlich war jetzt zu erkennen, dass die "Afrika" immer mehr Vorneigung gewann und das Wasser schon aus einem Ventilator über Raum I herausspritzte.

Das Schiff ging unter und das Kommando, in die Boote zu gehen, war unumgänglich. Unter der großen Gefahr durch den Wellengang an der eigenen Bordwand zu zerschellen setzten alle Besatzungsmitglieder in die Rettungsboote über. Nach dem Verlassen des Dampfers war dessen Tieflage deutlich sichtbar. Die Reling bei den Luken eins und zwei war schon mit dem Wasserspiegel gleich. Und nach etwa 15 Minuten, als die beiden Boote sich etwa 300 Meter von ihrem Schiff entfernt hatten, neigte sich das Vorschiff immer mehr und sank schließlich mit dem Bug voran in die Tiefe.

Die Rettungsboote trieben schon bald auseinander. "Mein Boot war mit 20 Mann besetzt und ein Spielball der Wellen. Das Boot nahm sehr viel Wasser über, es musste dauernd ausgeschöpft werden. Die Insassen waren nach kurzer Zeit bis auf die Haut nass, verhielten sich aber alle sehr ruhig und tapfer..."

Der Untergang wurde auch vom wachhabenden dritten Offizier des deutschen Dampfers "Frielinghaus" beobachtet. Das Heck der untergehenden "Afrika" hatte sich bereits soweit aus dem Wasser erhoben, dass das Ruderblatt zu sehen war. Eilends ließ der Wachhabende seinen Kapitän auf die Brücke holen. Als dieser endlich erschien, war von dem Dampfer schon nichts mehr zu sehen. Trotzdem war Kapitän Gottlob davon überzeugt, dass sein Offizier Augenzeuge des Untergangs gewesen war und ließ Kurs auf die mutmaßliche Untergangsstelle setzen.

Die beiden Rettungsboot der "Afrika" waren jedoch in der schweren See nicht auszumachen, deshalb beorderte Kapitän Gottlob alle verfügbaren Männer auf Ausguck. Gegen 11 Uhr wurde das erste Rettungsboot gesichtet, und trotz des immer noch schweren Sturms und der hochgehenden See versuchte die "Frielinghaus" mit ihrer windabgewandten Seite an das kleine Schiffchen heranzukommen. Dreimal wurde Anlauf genommen, und unter äußerster Gefahr auch für die Männer der rettenden Mannschaft, die von den Brechern fast mitgerissen wurden und bis an den Hals im kalten Seewasser standen, gelang es schließlich nach einer Stunde des Kampfes die Insassen des Rettungsbootes zu bergen.

Bis auf Kapitän Müllmann. Er sprang zu kurz. Zwei helfende Armpaare konnten ihn wohl noch packen, aber nicht festhalten. Er rutschte zurück in die See und die Wellen schleuderten ihn mit Wucht gegen die Bordwand. Trotzdem verlor er nicht gleich das Bewusstsein, er konnte noch einen an einer Leine befestigten Rettungsring ergreifen, aber bevor er an Bord gezogen werden konnte, versank er endgültig im Meer.

Zur Trauer blieb allerdings keine Zeit. Noch war das zweite Boot der "Afrika" in Seenot und musste gefunden werden. Eine halbe Stunde später fand man die Männer in ihrer Nussschale.

"...Von Seiten des Dampfers wurde versucht, mit einem Rettungsring Verbindung zwischen Dampfer und Boot herzustellen. Dieses misslang, da die Rettungsboje abtrieb. Wir kamen allmählich etwas näher. Durch mehrmaliges Werfen der Wurfleinen gelang es schließlich, eine Leine zu fassen. Hieran wurde von Seiten des Dampfers ein Jolltau gesteckt und diese von uns ins Boot geholt und festgemacht.(...) Hierbei fielen zwei Mann der Bootsbesatzung, welche zu kurz sprangen, ins Wasser, konnten aber wieder herausgeholt werden. Die ganze Besatzung wurde in ca. 15 Minuten geborgen..."

Die "Frielinghaus" wiederholte noch einmal die schweren Manöver und konnte schließlich auch den Rest der Mannschaft bergen. Glücklich der Gefahr entronnen erhielten die Leute der "Afrika" Verpflegung, trockenes Zeug und konnten sich schließlich in bereitgestellte Kojen fallen lassen.

Soweit die Geschehnisse in jener Vorweihnachtszeit 1936 auf hoher See.

Während der bereits neun Tage nach dem Untergang stattfindenden Seegerichtsverhandlung am 30. Dezember 1936 stellte sich heraus, dass die "Afrika" im September des gleichen Jahres schon einmal Stabilitätsprobleme mit dem Vorschiff gehabt hatte. Unter dem Einfluss einer schweren Dünung waren auf der Reise nach Emden verschiedene Spanten gebrochen, die allerdings nach Meinung der Ingenieure der reparierenden Werft Schulte und Bruns nicht nur ausgebessert, sondern mit einer besonderen Verstärkung versehen wurden, die dem Schiff 30-50% mehr Stabilität, als es vorher gehabt hatte, verliehen. Der Untergang des Dampfers könne jedenfalls nicht auf die alte Havarie oder die Reparatur zurückgeführt werden. Das hätte auch eine Überprüfung durch den Britischen Lloyd, die versicherungstechnisch durchgeführt werden musste, ergeben. Nahe läge die Vermutung, dass die "Afrika" unter der Wasserlinie auf einen treibenden Gegenstand gestoßen sei.

Dem steht allerdings entgegen, dass niemand unter der Besatzung irgendeine Erschütterung oder ein Geräusch vernommen hatte, wie bei einem Aufprall auf ein Hindernis zu erwarten wäre. Auch eine Bodenberührung habe nicht stattgefunden. Allerdings konnte die Schiffstagebücher nicht geborgen werden, so dass alle Aussagen vor dem Gericht nur aus dem Gedächtnis gemacht wurden.

Das Seegericht kommt endlich zu dem Schluss, dass die "Afrika" in vollster Weise seetauglich war und keinerlei materialbedingte Mängel den Untergang herbeigeführt haben können. Auch die seemännische Leitung durch Kapitän Müllmann und die Offiziere war tadellos. Warum also das Vorderschiff in relativ kurzer Zeit zwischen 7 und 8 Uhr soweit vollaufen konnte, dass die Manövrierfähigkeit des Dampfers nicht mehr gegeben war, ist letztlich nicht zu klären. Die Annahme, dass das schwere Arbeiten in der hochgehenden See doch zu einem Bruch in der Bugregion führte, ist noch am wahrscheinlichsten.

Am 13.Juni 1937 wird an der norwegischen Küste bei Vega die stark aufgelöste Leiche eines Mannes gefunden. Es sind wahrscheinlich die Überreste von Kapitän Müllmann.

Anmerkung: Weitere Informationen sind nicht vorhanden. Vor allem das oben genannte „Gerücht“ des SD ist nicht zu beweisen. Die Liste der Schiffsbesatzung gibt keinen Aufschluss über eine mögliche „kommunistische Einstellung“ der Besatzung. Es ist darum genauso gut denkbar, dass Kräfte der KP falsche Informationen gestreut haben, um die Situation auszunutzen und Unsicherheit zu verbreiten. Das zumindest ist ihnen gelungen...